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Gemeinden

Flächensparen in der Gemeinde – aber wie?

Der hohe Bodenverbrauch sowie dessen Versiegelung stellt eine der größten Herausforderungen aus dem kommunalen Alltag dar. Jede Gemeinde kennt die schwierige Aufgabe zwischen Wohnflächenbereitstellung, Wirtschaftsförderung und Gemeindeentwicklung einerseits und Flächenverbrauch andererseits abwägen zu müssen.

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Kommunale Möglichkeiten des Schutzes unserer wichtigsten Ressource Grund und Boden

Der hohe Bodenverbrauch sowie dessen Versiegelung stellt eine der größten Herausforderungen aus dem kommunalen Alltag dar. Jede Gemeinde kennt die schwierige Aufgabe zwischen Wohnflächenbereitstellung, Wirtschaftsförderung und Gemeindeentwicklung einerseits und Flächenverbrauch andererseits abwägen zu müssen. Aber auch bei der Ressource Boden sind die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft wichtig: Reduktion des Verbrauchs (Vermeidung zusätzlicher Versiegelung) sowie effiziente Nutzung (Flächeneffizienz). Diese Prinzipien können auf kommunaler Ebene mit unterschiedlichen Maßnahmen begünstigt werden: Effiziente Flächennutzung, Nachverdichtung, aktive Bodenpolitik aber auch die Vermeidung von Leerständen, Flächenrecycling oder die Mehrzwecknutzung bestehender Flächen. Doch wie steht es darum in der Praxis? Welche konkreten Instrumente und Möglichkeiten des Flächensparens tatsächlich bestehen und wie diese in der Gemeindepraxis gelebt werden, war am 14. Oktober 2021 Thema des dritten Webinars im Rahmen des Projekts RessourcenRegionEUREGIO+ von EUREGIO Salzburg – Berchtesgadener Land – Traunstein und Ressourcen Forum Austria (gefördert durch das EU-Programm Interreg VA Österreich/Bayern 2014-2020).

Andreas Van-Hametner (Ressourcen Forum Austria) und Steffen Rubach (EUREGIO Salzburg – Berchtesgadener Land – Traunstein) begrüßten als Vertreter der beiden Projektpartner die zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer und wiesen in ihrer Begrüßung darauf hin, wie wichtig das Herunterbrechen der großen globalen Probleme auf praxistaugliche Lösungen für die Gemeindeebene ist. Im Projekt RessourcenRegionEUREGIO+ wird die bedeutende Rolle der Kommunen für die Ressourcenwende aufgezeigt. Steffen Rubach betonte weiters die Notwendigkeit gerade auch in den verschiedenen Handlungsfeldern mit Ressourcenrelevanz eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit anzustreben.

Instrumente und Möglichkeiten des Flächensparens

Manfred Miosga, Professor für Stadt- und Regionalentwicklung der Universität Bayreuth, beleuchtet in seinem Impulsvortrag die vielfältigen Instrumente und Möglichkeiten des Flächensparens vor allem in kleinen Gemeinden. Zu Beginn mahnte er, dass trotz zahlreicher Regierungserklärungen und politischer Bekundungen in Österreich und Bayern, bislang keine erfolgreiche Reduktion der Flächeninanspruchnahme stattfand. Gerade deshalb nehmen auch die Nutzungskonflikte um Grund und Boden zu, denn Fläche wird in vielen Bereichen benötigt: Das reicht vom Erhalt der Biodiversität, über die Energieerzeugung, den Anbau von Nahrungsmitteln bis zur Infrastruktur- und Siedlungsentwicklung. Gerade im letztgenannten Bereich hat sich der Flächenverbrauch sowohl in Bayern als auch in Österreich auf hohem Niveau stabilisiert. In Bayern wie in Österreich lag zuletzt der durchschnittliche Wert neuer (versiegelter und nicht versiegelter) Flächeninanspruchnahme bei etwas über 11 ha – am Tag! Vor allem kleinere Gemeinden mit niedriger Dichte im ländlichen Raum, teilweise auch strukturschwache Regionen mit schrumpfender oder stagnierender Bevölkerungsentwicklung verbrauchen überproportional Fläche – dies ist in ganz Deutschland, aber auch in Österreich sichtbar. In Zahlen gegossen bedeutet dies, dass die Wohnbaufläche in Bayern in den letzten 20 Jahren um 28 % gestiegen ist, obwohl gleichzeitig die Einwohnerzahl im ländlichen Raum sank. Umgelegt auf die Wohnfläche hatte jeder Einwohner vor 20 Jahren noch mit 40,7 m² das Auslangen, inzwischen sind es schon 48,2 m². Die Ursache dafür liegt unter anderem in unserer Baukultur, die den Einfamilienhäusern den Vorzug gibt. Die Kinder ziehen aus und die Eltern bleiben im Einfamilienhaus zurück. Hier entsteht ein negativer Kreislauf.

Donut-Effekt: Außen wachsen – Innen aushöhlen

Dies begünstigt die Entwicklung einer problematische Siedlungsstruktur, in der die Kommunen an den Außenlagen wachsen und innen ausgehöhlt werden. Die fehlende Entwicklung im Ortskern erodiert Strukturen wie Einzelhändler. Versorgungseinrichtungen werden an den Ausfahrtsstraßen errichtet. Ortskerne und ganze Orte werden unattraktiv. Autofahren für die eigenen Bedürfnisse deshalb immer notwendiger. Zusammengefasst lässt sich das als Donut-Effekt bezeichnen: Außen wachsen – Innen aushöhlen!

Schritte zur Innenentwicklung

Herr Miosga zeigt dann in mehreren Schritten auf, wie Gemeinden dem Donut-Effekt entgegen wirken, die Innenentwicklung verbessern und den Flächenneuverbrauch reduzieren können.

  1. Politischen Willen bekunden
  2. Potenziale erfassen
  3. Strategische Grundlagen schaffen
  4. Innenentwicklung aktiv betreiben
  5. Erfolge feiern!

Im Schritt 1 bedarf es zunächst der Bekundung des politischen Willens. Gemeinderat und Verwaltung müssen sich die entsprechende Fachkompetenz aneignen. Im nächsten Schritt werden die Potenziale erfasst und analysiert (u.a. Baulücken, leestehende Wohngebäude, Gewerbebrachen oder geringfügig bebaute Grundstücke). Dazu bietet beispielsweise der Vitalitätscheck 2.0 den bayrischen Gemeinden ausgezeichnete Tools. Im Schritt Nummer drei werden die strategischen Grundlagen für die Dorfentwicklung geschaffen. Agieren und nicht nur auf einzelne Anträge reagieren ist das Gebot der Stunde. Ist dieserart klar geworden, wohin und wie sich der Ort entwickeln möchte, so muss im 4. Schritt die Innenentwicklung aktiv betrieben werden. Die EinwohnerInnen müssen immer wieder nachvollziehbar darüber informiert werden. Sind dann die einen oder anderen Projekte erfolgreich abgeschlossen, so darf im Schritt 5 der Erfolg durchaus gefeiert und auf breiter Ebene bekannt gegeben werden. Der Kreis schließt sich mit dem letzten Schritt, in dem die Gemeindeverwaltung Weiterbildungsangebote zur Gemeindeentwicklung aufgreift. Nachdem Herr Miosga mit seiner Analyse die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wachgerüttelt hat, folgten drei Beispiele für eine erfolgreiche Flächennutzung aus verschiedenen Regionen Österreichs und Bayerns.

Anders wohnen in Kirchanschöring

Den Beginn des positiven Reigens macht Herr Hans-Jörg Birner, seines Zeichens Erster Bürgermeister der Gemeinde Kirchanschöring im Landkreis Traunstein. Dort haben die aufgezeigten Schritte des Vorredners schon lange Tradition. Die Eckpunkte der erfolgreichen Gemeindeentwicklung liegen in Allianzbildung, einer Strategie, die auf breiter Basis mitgetragen wird, einer Sicherung von Beständen und der Stärkung des Ortskernes. Wichtig ist der Gemeindepolitik, dass der dörfliche Charakter erhalten bleibt, denn vielfach frisst sich die Siedlung am Dorfrand mit ihren prägenden Einfamilienhäusern in die Landschaft. Im Mittelpunkt der Bemühungen steht die Stärkung des Ortskernes, das mit der Schaffung eines Generationenzentrums, das vielen Altersstufen eine angepasste Wohnform bietet, sehr gut gelungen ist. Hans-Jörg Birner ist überzeugt, dass eine Gemeinde auch das Vorleben muss, was sie von ihren Bürgern fordert und insgesamt erreichen will. Daher hat man sich für den mehrgeschoßigen Wohnbau als Hybridbau entschieden, um erschwingliches Wohnungseigentum einerseits und leistbare Mietwohnungen andererseits zu sichern. Der nächste Bebauungsplan wird schon in Angriff genommen und erfolgt in einem Bürgerratsprozess mit Pflichtenheft und gezielter Information.

Revitalisierter Leerstand im Ortskern

Für die österreichische Seite zeigte Bürgermeister Peter Altendorfer der Gemeinde Seeham auf, wie Flächensparen gelebt wird. Hier ergriff die Gemeinde für ihre 2.000 BürgerInnen die Chance, ein schönes, doch seit Jahren leerstehendes Gebäude zu revitalisieren und das Gemeindeamt dadurch im Ortszentrum zu halten. Ein Abwandern an den Ortsrand (auf die grüne Wiese) dieser wichtigen Gemeindeinfrastruktur konnte somit verhindert werden. Ursprünglich war der Gebäudekomplex an der Hauptstraße ein Bauernhof mit Wohngebäude und Wirtschaftstrakt. Das Wohngebäude war zum Zeitpunkt der Übernahme als Baurecht für 90 Jahre schon sehr desolat und steht zudem unter Denkmalschutz. Im Rahmen eines EU-Projektes konnte mit alten Handwerkstechniken schonend restauriert werden. In den Räumen wurden Wandheizungen installiert. Die Heizanlage ist an ein Biomasseheizkraftwerk angeschlossen. Nicht alle Teile des Wirtschaftsgebäudes sind gut genutzt und so werden Überlegungen angestellt, wie in Zukunft die Nutzung verbessert werden kann. Als Biodorf hat Seeham zudem ein Betriebsgebiet mit hoher Baudichte genehmigt um hohe Flächeninanspruchnahme durch Gewerbe zu verhindert. Dort entsteht nun ein Biokampus als Zentrum für die ganze Region.

Brachfläche wird erfolgreicher Gewerbepark

Mit dem Gewerbepark Pramtal stellt Christian Schano von der KS Immo anschließend ein gelungenes Projekt der Revitalisierung einer Gewerbebrache vor. Ein ehemaliges Milchtrocknungswerk wurde 1997 geschlossen und stand dann etwa 20 Jahre leer. Dementsprechend desolat war auch der Zustand der gesamten Anlage. Mit viel Engagement und Eigenleistung der beiden Geschäftsführer und der Zusammenarbeit mit regionalen Handwerkern wurden die Dächer saniert, dann die 4 Öltanks, die immer noch mit Schweröl gefüllt waren, abgebaut. Viel Eisenschrott entstand auch bei der Demontage des hohen Sprühturms der ehemaligen Milchtrocknung. Das ganze Gebäude wurde innen ausgehöhlt. Auch ein morscher, fauler Leimbinder musste ausgetauscht werden. Eine neue Biomasseheizung, die aus den Abfällen der benachbarten Tischlerei betrieben wird, wurde eingebaut. Halle für Halle, Raum für Raum wurde diese alte Fabrik adaptiert. Inzwischen ist es ein florierender Gewerbepark, der zu 90 % mit einem bunten Branchenmix vermietet ist und 100 Menschen Arbeit bietet. Politik und Behörde standen dem Projekt wohlwollend gegenüber, das Projekt wurde alelrdings ohne öffentliche Finanzierung umgesetzt. Christian Schano und KS Immo planen bereits die nächsten Revitalisierungen – Gewerbebrachen fit zu machen haben sie als business case entdeckt.

Diskussion und Erfahrungsaustausch

In der abschließenden Diskussion wurden die Referenten gefragt, wie sie sich und Mitstreiter für die Projekte motivieren konnten? Sie sind sich darüber einig, dass es sowohl Idealismus braucht, um Flächensparen aktiv zu betreiben, aber auch Bürgernähe und das Bewusstsein, wie wichtig es für eine Gemeinde ist, Ortskerne zu stärken und Leerstände im Zentrum zu vermeiden ist gefragt!

Take-home-messages:
  • Nutzungskonflikte im Raum nehmen zu, denn auch umweltverträgliches Leben, Produzieren und Energieversorgung brauchen Fläche.
  • DIe Wohnbaukultur ist vielfach zu stark auf Einfamilienhäuser ausgerichtet; Die Vielfalt der Wohnbedürfnisse und Wohnformen ist im ländlichen Raum dadurch kaum berücksichtigt.
  • Zum Flächensparen braucht es: politischen Willen, eine Bestandsaufnahme und Analyse, ein beherztes Schaffen von strategischen Grundlagen und aktives Gestalten und Entwickeln.
  • Positive Motivation der Akteure bringt Erfolge: Gemeinsames Überdenken der Entwicklung der Gemeinde; Neben der Schaffung von Strukturen muss auch Eigeninitiative und Idealismus appelliert werden
  • Gemeinde muss sich auch selbst als Vorbild begreifen

Downloads

Präsentation Schano
pdf 8,34 MB Download
Präsentation Birner
pdf 4,03 MB Download

(21.10.2021)

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