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GemeindenProduzierende Wirtschaft

Kreislaufwirtschaft in der nachhaltigen Beschaffungspraxis

„Wie kann Wiederverwendung, Reparatur und Recycling verstärkt in die Gemeinde getragen werden und welche Rolle spielt dabei die nachhaltige Beschaffung?“ Diese Frage stand im Fokus eines Webinars von naBe-Plattform und Ressourcen Forum Austria am 13. März 2024. Über 150 Gemeindevertreter:innen, operativ und strategisch Beschaffende sowie Interessierte wurden anhand von Impulsvorträgen und Praxisbeispielen zahlreiche Perspektiven auf das Thema Kreislaufwirtschaft in der Beschaffung eröffnet und systematisch aufbereitet.

Kreislaufwirtschaft, vielschichtig aber notwendig!

In den Eröffnungsworten von Bernhard Haubenberger, Fachreferent des Österreichischen Gemeindebunds und Vertreter von Generalsekretär Walter Leiss wurde deutlich, wie vielfältig die Aufgabenbereiche der österreichischen Gemeinden und wie zahlreich deshalb die Anknüpfungspunkte für Handeln im Sinne der Kreislaufwirtschaft sind. Haubenberger betonte, dass bereits heute viele Vermeidungs-, Wiederverwendungs- und Recycling-Aktivitäten in Gemeinden gesetzt werden und hob dabei die Tauschplattform unter Kommunalnet hervor. Er skizzierte aber auch die Herausforderung, bei Beschaffungen zwischen Regionalität und Umweltkriterien abzuwägen. Gerhard Herr Weiner Leiter der naBe-Plattform betonte in seinen Grußworten die wesentliche Rolle der öffentlichen Beschaffung zur Erreichung der Reduktionsziele der Kreislaufwirtschaftsstrategie der österreichischen Bundesregierung. Der naBe-Aktionsplan und dessen Kriterien, die für alle relevanten Produktgruppen bestehen, stellt für alle Gebietskörperschafften, die Kreislaufwirtschaft in Ihrer Beschaffung implementieren wollen, einen guten Orientierungspunkt dar. Doch eine zentrale Herausforderung besteht Weiner folgend bereits lange, bevor man sich in die tatsächliche Ausschreibung stürzt, mit der Frage, ob eine Beschaffung überhaupt notwendig ist. Deshalb, so schließt Weiner die Begrüßung, ist die Bedarfsorientierung und das Zusammenspiel zwischen Nutzer:innen und Beschaffer:innen in der nachhaltigen Beschaffungspraxis so wesentlich.

Gemeinden und die Kreislaufwirtschaft

Andreas Van-Hametner führte dann in die Kreislaufwirtschaft ein und zeigte sowohl die ökologische wie ökonomische Notwendigkeit der Kreislaufwirtschaft auf. Dafür stellte er einerseits auf die bestehende Überschreitung planetarer ökologischer Belastungsgrenzen und andererseits auf bestehende Importabhängigkeiten Österreichs ab. Aufgrund dieser enormen Bedeutung argumentierte Van-Hametner, dass Kreislaufwirtschaft in der Mitte der Gesellschaft ankommen müsse, da die Umstellung unserer Wirtschaft und Gesellschaft zu einer Kreislaufwirtschaft alle – und nicht nur die Industrie – erfordere. Gemeinden und Regionen spielten deshalb als Akteure des Wandels eine wichtige Rolle. Sie stellen zentrale Knotenpunkte des Ressourcenverbrauchs dar, weisen viele Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten sowie bestehende Organisationsstrukturen auf und sind nahe an Bürger:innen und Unternehmer:innen dran. Von der Abfallwirtschaft über Kommunalbauten, Mobilität und Veranstaltungen bis hin zur diesmal fokussierten Beschaffung können Gemeinden in allen bestehenden Handlungsfeldern die wesentlichen Grundsätze der Kreislaufwirtschaft – „Weniger und anders“, „länger nutzen“ und „im Kreis führen“ – anwenden. Dies verschaffe ihnen nicht nur ein positives Image, sondern auch regionale Wertschöpfung und erhöhte Lebensqualität für Bürger:innen, beispielsweise durch Reparaturdienstleistungen.

Notwendigkeit neuer Vergabekultur

Aus der Perspektive des Vergaberechts beleuchtete im Anschluss Berthold Hofbauer, Rechtsanwalt und Partner bei Heid & Partner, die Kreislaufwirtschaft. Dabei gab er einen ermutigenden Ausblick auf die Berücksichtigung von Kreislaufwirtschaftsaspekten in der Vergabe und ging insbesondere auf die drei Ebenen Leistungsbeschreibung, Zuschlagskriterien und Vertrag ein. Hofbauer erinnerte daran, dass das Bundesvergabegesetz als zentraler rechtlicher Rahmen die „Bedachtnahme auf die Umweltgerechtigkeit der Leistung“ im Vergabeverfahren vorgibt. Zwar gab es aktuell noch keinen Fall einer Sanktion gegen die Nicht-Einhaltung, doch dürfe man zukünftig mögliche Klimaklagen nicht außer Acht lassen. Die Umweltgerechtigkeit als zentraler Vergabegrundsatz hat drei Ebenen: Die ökologische Leistungsbeschreibung samt technischer Spezifikationen, die ökologischen Vergabekriterien und die ökologischen Vertragsbestimmungen. Als wirkungsvollstes Mittel für die Bedachtnahme auf Kreislaufwirtschaft in einer nachhaltigen Vergabe bezeichnete Hofbauer die genaue Leistungsbeschreibung. Diese kann beispielsweise die Verpflichtung eines Rückbau- und Verwertungskonzepts umfassen, die Festlegung eines Mindestanteils recyclingfähiger Rohstoffe oder aber die Reparierbarkeit bzw. Austauschbarkeit von Ersatzteilen bzw. eine lange Garantiezeit als Pflichteigenschaft vorsehen. Neben der Leistungsbeschreibung bieten die Eignungskriterien die Möglichkeit zur Stärkung kreislaufwirtschaftlicher Vergaben. Doch gemäß Experten Hofbauer sind ökologische Vorgaben in Bezug auf die technische Leistungsfähigkeit eher kritisch. Bei der ökologischen Leistungsbeschreibung (im Sinne von Mindeststandards) gibt es mehr Spielraum. Neben den Eignungskriterien können auch kreislaufwirtschaftsrelevante Zuschlagskriterien angeführt werden. Als Beispiele nennt Hofbauer unter anderem den Anteil von Produkten mit bestimmten Gütesiegeln, die Bewertung von recyclingfähigem Verpackungsmaterial oder auch die Bewertung bestimmter Lebenszykluskosten. Drittens kann eine vergebende Gemeinde über den Vertrag Einfluss auf die Nachhaltigkeit der Vergabe nehmen und die Auftragnehmer:in zur Einhaltung von ökologischen Zusagen vertraglich verpflichten. Dabei sollten, so empfiehlt Hofbauer, Gemeinden auch die Optionen Leasing, Miete und/oder Mietkauf in Betracht ziehen. Auch verpflichtende Reparatur- und Wartungsdienstleistungen können Teil eines „grünen“ Vertrags sein.

Praxis aus Regionen und Unternehmen

Im Praxisteil zeigten Kreislaufwirtschafts-Beispiele aus der nachhaltigen Beschaffungspraxis österreichischer Regionen und Unternehmen, wo bereits erste Erfahrungen und Erfolge erzielt wurden. Aus verschiedensten Produktgruppen, wie IT, Textilien und Möbel konnten unter Moderation von Laura Bauer, naBe-Plattform, spannende Beispiele vorgestellt werden, unter anderem:

  • Textilrecycling und kreislauffähiges Produktdesign bei den Bundesbahnen: Stephan Izay, Beschaffer der ÖBB, skizzierte die Ausgangssituation bis 2013, die von klassischen Billigstbieter-Vergaben und dem Fehlen ökologischer Faktoren geprägt war, was zu großen Unzufriedenheiten führte. Seit 2013 setzen die Bundesbahnen jedoch auf den Total-Cost-of-Ownership-Ansatz, um Kosteneffektivität und Nachhaltigkeit zu gewährleisten, wobei Nachhaltigkeitsstandards im Vergabeverfahren stark gewichtet wurden. Das Ergebnis dieser Strategie waren wesentliche Verbesserungen bei Design, Qualität und Komfort, wobei die Einsparungen durch eine längere Tragedauer die höheren Beschaffungskosten übertrafen. Ein herausragendes Pilotprojekt war die Einführung kreislauffähiger Textildesigns durch neue Uniformhemden. Dank des Einsatzes von 100% Baumwolle und einer leichteren Abnahme von Kragen, Brusttasche und Manschetten wurde das Textilrecycling deutlich vereinfacht, was einen wichtigen Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft darstellt.
  • Gemeinsamer Schulhefte-Einkauf: Margit Krobath, Geschäftsführerin der Ökoregion Kaindorf, präsentierte das Beispiel der Beschaffung von umweltfreundlichen Schulheften. Dabei betonte sie die Vorteile einer gemeinsamen regionalen Beschaffung mehrerer Schulen von Schulheften, die mit Umweltzeichen zertifiziert und aus 100% Recyclingpapier hergestellt wurden. Jede Schule hatte zudem die Möglichkeit, gemeinsam mit den Schüler:innen ein eigenes Cover in Bezug auf Klimaschutz zu gestalten. Die Vorteile dieses Ansatzes sind vielfältig: Die Beschaffung in Großmengen ermöglicht günstige Preise, was eine finanzielle und organisatorische Entlastung der Eltern bedeutete. Gleichzeitig wurden Fehlkäufe und Fahrten vermieden. Die individuell gestalteten Titelseiten erinnern täglich an Klimaschutzthemen. Sie tragen zu einem bewussteren Umgang mit Ressourcen bei.
  • Wiederverwendung von IT-Geräten in Schulen: Bodo Brinkmann, IT-Systembetreuer für Schulen in Wien und Schwechat, teilte im Anschluss seine positiven Erfahrungen mit refurbed-IT. Er skizzierte die Herausforderung im Bereich der IT-Beschaffung im Schulwesen, die durch chronisch knappe Kassen bei gleichzeitig großem IT-Bedarf geprägt war. Seit 10 Jahren betrachtet Brinkmann Reuse-IT dafür als ideale Lösung, nicht nur im Anwenderbereich, sondern auch in der IT-Infrastruktur wie Servern usw. Seine Erfahrung zeigt, dass gebrauchte IT-Geräte eine hervorragende Leistung zu einem Bruchteil der Kosten vergleichbarer Neuware bieten. Zudem bieten die meisten Lieferanten mittlerweile verlängerbare Garantiepakete an, um eine langfristige Nutzung zu gewährleisten. Diese Vorgehensweise ermöglichte es den Schulen, ihren IT-Bedarf effizient und kostengünstig zu decken, ohne dabei Abstriche bei der Qualität machen zu müssen.
  • Kompost aus regionalem Grünschnitt: Christian Mesterhazi, Manager der KEM- und KLAR!-Region Ebreichsdorf, präsentierte abschließend die Initiative eines Kompostsystems aus regionalem Grünschnitt. Unter dem Motto „mei erd“ wird der regionale Grünschnitt in Ebreichsdorf zu regionalem Kompost umgearbeitet und vertrieben. Dies geschieht nicht durch die Gemeinden selbst, sondern einen durch einen beauftragten Betrieb. Das Projekt für dieses Projekt umfasste die Abholung des Grünschnitts, dessen zentrale Kompostierung und kostenpflichtige Ausgabe mit einem Pfandsacksystem. Durch diese Maßnahme wird nicht nur die lokale Abfallentsorgung verbessert, sondern auch die Kreislaufwirtschaft gefördert und die regionale Wertschöpfung gesteigert. Die Einbindung der Bürger:innen in den Prozess des Kompostierens und die Möglichkeit, das Endprodukt lokal zu erwerben, stärkten zudem das Bewusstsein für Kreislaufwirtschaft in der Gemeinde.

Diskussion und Ausblick

In der abschließenden Diskussion der Veranstaltung wurden verschiedene Themen beleuchtet, darunter die geplante Obsoleszenz am Beispiel von Software und die Problematik des Verpackungsmaterials bei Beschaffungen. Die Möglichkeit von Miete- und Leasingoptionen bei Komponenten wurde als Chance für eine flexiblere und ressourcenschonendere Nutzung herausgestellt. Die Idee von Kreislaufwirtschafts-Pionierbeschaffungen wurde diskutiert, um Anbieter zu motivieren und innovative Lösungen zu fördern, trotz diverser Zielkonflikte. Dabei stand die Betonung auf eine lange Lebensdauer und einen hohen Nutzen im Fokus, um nachhaltige Beschaffungsstrategien zu unterstützen und die ökologische Belastung zu reduzieren.

Fragen zu Regionalität, Zielkonflikten und Zertifizierungen

Aufgrund der regen Teilnahme, konnten nicht alle Fragen während des Webinars beantwortet werden. Berthold Hofbauer, Rechtsanwalt und Partner bei Heid & Partner beantwortete einige Fragen nachträglich schriftlich:

Hebelt die EU-Vorgabe mit der Anti-Diskriminiereungsvorgabe nicht die ökologischen Aspekte aus, weil lange Transportwege ökologisch negativer als nahe gelegene Anbieter sind?

  • Diese Annahme ist nicht korrekt. Lange Transportwege können – wenn diese CO2-neutral durchgeführt werden (zB mittels E-Fuhrpark) ökologisch positiver sein als kürzere CO2-intensive Transportwege (zB Fuhrpark mit klassischem Verbrennungsmotor)

Unter Umständen gibt es zwischen einzelnen Kriterien Zielkonflikte – bspw. energieeffizientere (Neu)Geräte versus refurbished Geräte (Ressourceneffizienz). Wie ist dieser Umstand zu bewerten/zu gewichten und welche Auswirkungen kann dies auf die Ausschreibung haben?

  • Diese Zielkonflikte sind stets im Einzelfall zu prüfen und zu bewerten. Auftraggeber:innen sind bei der Festlegung des Leistungsgegenstandes grundsätzlich frei, müssen jedoch sachlich vorgehen (Sachlichkeitsgebot). Im Falle eines Zielkonfliktes bei einer Ausschreibung sollten Auftraggeber:innen die sachlichen Überlegungen dokumentieren bzw nachweisbar festhalten, weshalb sie sich für eine Lösung (zB refurbished Geräte) entschieden haben. Dies kann grundsätzlich formlos zB im Vergabeakt mittels Aktenvermerk erfolgen.

Gibt es Einschränkungen, inwieweit konkrete Zertifizierungen gefordert werden können, bzw. wäre eine Anforderung eines nicht weit verbreiteten Qualitätssiegels  (z.B. Cradle to Cradle) möglich, wenn man „Cradle to Cradle oder alternative Qualitätssiegel“ fordert?

  • Auftraggeber sind bei der Festlegung von Zertifizierungen grundsätzlich frei, müssen jedoch das Diskriminierungsverbot, das Sachlichkeitsgebot und den Grundsatz der neutralen Leistungsbeschreibung einhalten. Innerhalb dieser vergaberechtlichen Schranken steht es dem Auftraggeber somit auch frei, erhöhte und strenge nachhaltige Vorgaben an die Leistung zu stellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es für den gefragten Gegenstand oder die gefragte Leistung letztlich zumindest ein Unternehmen geben muss, das den festgelegten Vorgaben auch entsprechen kann. Der bloße Umstand, dass eine Vielzahl an Unternehmen die Leistung nicht gemäß den „grünen“ Spezifikationen erbringen kann, belegt noch keinen unsachlich festgelegten Auftragsgegenstand bzw eine Wettbewerbsbeschränkung.

Wie soll man die Einhaltung von Menschenrechten in einer komplexen Lieferkette überhaupt ermöglichen?

  • Das Lieferkettenrecht kennt diese Komplexität an. Es besteht somit für Unternehmen auch keine abstrakte Erfolgshaftung (im Sinne davon, dass jeder Verstoß in der Lieferkette zur Haftung des Unternehmens führt), sondern eine Bemühenspflicht. Unternehmen müssen somit lediglich nachweisen, dass sie dieses Bemühen erfüllen bzw Schritte gesetzt haben (und setzen), um Verstöße zu verhindern. Diese Schritte sind vielfältig und je Einzelfall und Risikopotenzial vom Unternehmen zu setzen und dem öffentlichen Auftraggeber im Bedarfsfalls bzw auf Nachfrage auch mitzuteilen (zB Maßnahmenkonzept mit dem Lieferanten, Audits, Eigenerklärungen des Lieferanten, Schulungen, Informationen etc).

 

Take-Home-Messages
  • Gemeinden haben eine Vielzahl an Handlungsmöglichkeiten im Bereich der Kreislaufwirtschaft, insbesondere im Kontext von Beschaffungsprozessen.
  • Kreislaufwirtschaft in der nachhaltigen Beschaffungspraxis bietet einen großen Hebel zur Reduktion des österreichischen Ressourcenverbrauchs, aber auch für den Klimaschutz.
  • Gebietskörperschaffen können über die Leistungsbeschreibung samt technischen Spezifikationen, die Vergabekriterien und die Vertragsbestimmungen Kreislaufwirtschaftsmaßnahmen forcieren. Das stärkste Instrument ist die Leistungsbeschreibung
  • Eine lange Lebensdauer sowie eine Bedarfsorientierung durch das Zusammenspiel zwischen Nutzer:innen und Beschaffer:innen in der nachhaltigen Beschaffungspraxis sind fundamentale Kriterien.
  • Kreislauffähige Beschaffungen durch Pionier:innen fördern innovative Lösungen.

Präsentationen

Gemeinden und die Kreislaufwirtschaft. Eine Einführung – Andreas Van-Hametner
pdf 1.023,54 kB Download
Kreislaufwirtschaft als neue Vergabekultur - Hofbauer
pdf 629,38 kB Download
Beispiele aus der nachhaltigen Beschaffungspraxis, verschiedene Vortragende
pdf 2,68 MB Download

(27.03.2024)

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