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Produzierende Wirtschaft

Digitalisierung als Werkzeug für mehr Ressourceneffizienz & Kreislaufwirtschaft

Das Schlagwort Digitalisierung fällt häufig als ein zentraler Lösungsansatz, wenn es darum geht, Ressourceneffizienz in der Produktion zu steigern oder Kreislaufwirtschaftsmaßnahmen umzusetzen. Doch wie können digitale Lösungen in der Praxis tatsächlich dazu beitragen Material zu sparen bzw. Materialkreisläufe zu schließen?

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Digitalisierung (Symbolbild); Bildnachweis: pixabay.com

Welche Handlungsfelder dabei konkret bestehen und welche Chancen sich dadurch für Betriebe ergeben, diskutierten Experten am 16. November in einem Webinar am Beispiel der Textilbranche. Das Webinar, organisiert von Ressourcen Forum Austria und STENUM Gmbh war Teil der “Webinarreihe zur Förderung von Ressourceneffizienz- und Kreislaufwirtschaftsaktivitäten in Österreichs Produktionsbetrieben“, die vom Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie finanziert wird. Kooperationspartner waren diesmal das VDI Zentrum Ressourceneffizienz, Fabriktester.de, die Industriellenvereinigung Salzburg und das Schweizer Reffnet.ch.

Dieses Webinar wurde finanziert durch das:

Schwerpunkt Fasern & Textilien

In seiner Einführung machte Andreas Van-Hametner, Geschäftsführer des Ressourcen Forum Austria anhand einiger Kennzahlen deutlich warum eine Ressourcenwende nicht nur aus ökologischer, sondern auch aus betriebswirtschaftlicher Perspektive notwendig ist. Im Besonderen trifft dies auf die Textilbranche zu, so Van-Hametner, eine Branche, die einerseits hoch ressourcenintensiv ist und mit Problemen wie Fast Fashion und schwach ausgebauten Recyclingpfaden konfrontiert ist, und andererseits verschiedene ökonomische Herausforderungen zu meistern hat (einen hohen Anteil an KMU, Kostendruck durch Wettbewerb aus Asien, intransparente Produktions- und Lieferketten, problematische Arbeits- und Produktionsbedingungen, hoher Anteil an manueller Fertigung). Eine Ressourcenwende im Betrieb meint dabei eine optimierte und beschleunigte Produktion mit reduziertem Ausschuss, Materialeinsparungen und vermiedenem Abfall. Für all das braucht es Datensätze mit Informationen zu Komponenten, Materialien und verwendeten Substanzen, die mit Hilfe digitaler Lösungen gewonnen, aufbereitet und verarbeitet werden können. Auch interne wie betriebsübergreifende Kreislaufführungen im Sinne einer Kreislaufwirtschaft sowie die Rückverfolgbarkeit der gesamten Wertschöpfungsketten bedürfen Daten und damit digitaler Lösungen. Auch auf europäischer Ebene widmet man sich aktuell dem Thema Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft in der Textilbranche intensiv. Erarbeitet wird aktuell eine Textilstrategie. Und auch in Österreich, so Erna Etlinger van der Veeren von der Abteilung betrieblicher Umweltschutz und Technologie des Klimaschutzministerium in ihren Grußworten, untersuche man den Sektor in Vorbereitung zur österreichischen Kreislaufwirtschaftsstrategie intensiv. Dazu ist aktuell eine Studie im Auftrag des BMK publiziert worden, die Anreize für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft im österreichischen Textil- und Bekleidungssektor untersuchte.

Grundlagen zu Ressourceneffizienz durch Digitalisierung

Tobias Frerichs, am deutschen VDI Zentrum Ressourceneffizienz für Digitalisierung, KI und Industrie 4.0 zuständig, zeigte zu Beginn seiner Ausführungen auf, welche Schritte für die Digitalisierung einer Anwendung oder eines Prozesses vorzunehmen sind und dechiffrierte so das Buzzword Digitalisierung. Als erstes muss ein Unternehmen selbst einschätzen, wo es bislang steht (Reifegrad), dann müssen Zielszenarien definiert werden, um schlussendlich in einem iterativen Prozess die Daten zu erheben und zu bearbeiten. Die Nutzung eines Reifegradmodells ermöglicht es Unternehmen sich auf Basis des bisherigen Digitalisierungsgrades eine der folgenden Gruppen einzuordnen und daraus die nächsten Schritte abzuleiten: Erkunder, Einsteiger, Fortgeschrittener, Experte und Vorreiter. Der Digitalisierungsgrad lässt sich vereinfacht in folgenden Abstufungen einteilen:

  • Fehlende Datenerfassung
  • Zyklische Datenerfassung
  • Erfassung auf Maschinenebene
  • Verknüpfung mit Betriebsdaten
  • Ableitung von Maßnahmen
  • Automatische Regelung von Maschinen

Für Einsteiger empfiehlt Frerichs sich einen Prozess zur Digitalisierung im Unternehmen auszusuchen, bei dem man möglichst wenig Schaden anrichten kann, also keine Kernprozesse. Er illustriert die Vorgehensweise an einem deutschen Erzeuger von Druckluftsystemen samt Servicedienstleistungen. Das Unternehmen hatte die Herausforderung die bisher manuelle Dokumentation von Leckagen zu digitalisieren und darauf basierende Analyse aufbauen. Der Lösungsansatz besteht nun im dezentralen Monitoring mittels Ultraschallsensoren, anschließender Kennzeichnung mittels QR-Codes sowie Erfassung, Analyse und Bereitstellung der Leckagedaten über App und Software. Frerichs unterstrich zum Schluss, dass Digitalisierung kein Selbstzweck ist, sondern immer eine konkrete Hilfe bzw. ein unterstützendes Instrument für ein konkretes Problem.

Crisp-DM: Cross Industry Standard Process for Data Mining

Tobias Zorn, ein freier Berater aus dem Netzwerk Fabriktester.de, stellte dann das Crisp-DM-Datenmodell vor, welche die bereits vorab skizzierten Handlungsfelder Datenerfassung, Datenanalyse und Datennutzung abdeckt. Crisp-DM ist das am weitesten verbreitete Prozessmodell und dient der Strukturierung von Digitalisierungsprojekten in Unternehmen bzw. zum Überblick über den Data-Mining Lebenszyklus. Crisp-DM hat grundsätzlich sechs Prozessphasen:

  1. Geschäftsverständnis: Definition der zu lösenden Problemstellung bzw. der zu unterstützenden Entscheidung, Definition benötigter Informationen
  2. Datenverständnis: Definition der benötigten Daten; Identifikation der Datenquellen; Quercheck von Konsistenz und Qualität durch  Visualisierung
  3. Datenaufbereitung: Setzt sich aus mehreren Schritten zusammen und reicht vom Beheben von Datenqualitätsproblemen, über die Umwandlung in passende Formate bis zum Verringern des Datenvolumens. Da dieser Punkt zentral für die Qualität des gesamten Prozesses ist, bedarf es eines iterativen Vorgehens mit Nachvernetzung und Evaluierung davon. Hierauf entfällt auch der meiste Aufwand des gesamten Prozesses.
  4. Modellierung: Definition der Analyseverfahren, Bau der Analysemodelle, Test und Vergleich der Modelle
  5. Evaluierung: Auswahl des Modells, welches das definierte Problem am besten löst
  6. Bereitstellung: Vorbereitung und Präsentation der Ergebnisse, Integration des besten Modells in den Entscheidungsprozess

Zentral ist für Tobias Zorn neben einer strukturierten Vorgehensweise vor allem, dass sich Unternehmen auch Fehler zugestehen und eine Kultur des Lernens etablieren. Ein jeder Digitalisierungsprozess muss auch als Experiment verstanden werden, das auch scheitern kann. Außerdem ist wichtig bereits zu Beginn den Adressat der Ergebnisse festzulegen, und dabei nicht auf die Einbindung der Adressaten zu vergessen. Denn der beste Digitalisierungsprozess mit relevanten Ergebnissen nützt nichts, wenn sie keiner ansieht.

Datensammlung für Nachhaltigkeit bei Löffler

Otto Leodolter, Geschäftsführer der Löffler GmbH eines österreichischen Herstellers von Sportbekleidung mit Sitz in Ried in Oberösterreich schilderte dann eindrücklich, wie in der Praxis bei Löffler eine notwendige Datenbasis erarbeitet wird, um Verschwendung zu erkennen und klare Nachhaltigkeitsziele zu formulieren. Löffler weist im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen in der Branche noch eine sehr hohe Fertigungstiefe, mit Herstellungsschritten von Design, über Strickerei bis zu Konfektion und Näharbeiten auf. Dies bietet Vorteile für Digitalisierungsprojekte, da man viele Entscheidungen inhouse treffen kann. Ausgangspunkt zur Behandlung des Themas war die Entscheidung zur Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts nach GRI-Standard. Hier wurde rasch klar: um Ziele zu formulieren und darauf basierende Maßnahmen umzusetzen braucht es zuerst eine Festlegung des Status Quo und dafür eine ausreichende Datensammlung. Das Problem daran: bisher lagen viele Daten nur in unterschiedlichen Formaten in Kilogramm, Laufmeter oder Minuten vor. Diese Daten mussten gebündelt werden. Einerseits wurden Daten aus dem eigenen ERP genommen. Besondere Bedeutung kam bei der Datenerhebung aber auch den zuliefernden Maschinenhersteller zu. Diese haben besondere Kompetenz und waren unterstützend tätig (bspw. konnte man durch eine Optimierung des Zuschnitts den Zuschnittabfall um 5-7% reduzieren). Für eine kreislaufwirtschaftliche Lösung ist das Kunststoff-Abfallvolumen zum derzeitigen Zeitpunkt aber noch zu gering, als dass es separat wirtschaftlich recyclet werden könnte. Aus den Zielen des Nachhaltigkeitsberichts wurden 81 Maßnahmen für 3 Jahre abgeleitet. Einen besonders wichtigen Aspekt spielen dabei klarerweise die sozialen und ökologischen Herausforderungen entlang der Lieferkette. Man versuchte dabei auch die Lohnpartner und Lieferanten ins Boot zu holen. Eine große Herausforderung besteht aktuell große Lieferanten von neuen Lösungen und Standards zu überzeugen, wenn diese nicht selbst motiviert sind.

Auch das Thema Klimaschutz wird bei Löffler großgeschrieben. Die Löffler GmbH ist ist Scope 1 und 2 neutral. Für Scope 3 werden aktuell Zertifikate zugekauft, allerdings werden bislang nur Teile von Scope 3 berechnet. Man hat in Geothermie investiert und setzt auf Photovoltaik und Grünstrom. Dienstreisen wurden nicht erfasst, sondern über Zertifikate ausgeglichen. Für Scope 3 fehlt es auch oftmals noch an Informationen und Daten von Zulieferern. Transparenz und die Nachverfolgbarkeit von Produkten ist dabei besonders wichtig. Dafür braucht es eine große Datenbank. Eine Lösung dafür bietet Retraced, ein Startup aus Deutschland mit dem Löffler bereits kooperiert.

Transparenz über Lieferketten als Grundstein für Zirkularität.

Lukas Pünder, einer der Gründer von Retraced, stellte dann sein Transparenztool vor. Transparenz definierte er als „die richtigen Daten im richtigen Moment kennen“. Die Problemstellung laut Pünder war bisher, dass es schwer war einen hohen Grad an Lieferkettentransparenz zu erreichen. Dies liegt daran, dass die Mode- und Textilindustrie äußerst komplex, mit hoher Rotation ausgestattet ist und die Teilnehmer in der Lieferkette nur schwach miteinander verbunden sind. Dem gegenüber stehen stark angestiegene Anforderungen an Textilbranche. Sie ist zunehmendem Druck von Regierungen, Kunden, aber auch anderen Stakeholder entlang der Lieferkette ausgesetzt. Deshalb braucht es nun Lösungen die sowohl Traceability (wissen woher/von wem ein (Vor-)Produkt stammt) als auch Transparenz (wissen was in den Produkten drin steckt und wer diese wo unter welchen Produktionsbedingungen hergestellt hat) ermöglichen, um dann auch für Anforderungen der  Zirkularität (Nur auf Basis von Transparenz kann dann das Material im Kreis geführt werden) gewappnet zu sein. Grundsätzlich sind dabei im Sinne der Lieferkettentransparenz folgende 5  Schritte zu beachten:

  1. Visualisierung von Lieferketten
  2. Sammlung von relevanten Daten
  3. Rückverfolgung der Produktion
  4. Management der Lieferkette
  5. Offenlegung und Kommunikation

Mit Beispielen von unterschiedlichen Wertschöpfungsstufen der Produktion (boyish, Ricosta, Artistic Milliners) konnte Lukas Pünder dann eindrucksvoll aufzeigen, dass es mittlerweile großes Interesse für Transparenzlösungen wie Retraced gibt. Durch die Nutzung der Plattform wird ein Überblick über die Lieferkette ermöglicht und bietet somit sowohl den Produzenten wie auch dem Kunden die volle Transparenz. Möglich ist mit Retraced zudem auch eine Schätzung des THG-Fußabdrucks auf Basis eines minimalen Datensatzes (Rohmaterialien, Gewichtsmengen und Ursprungsort) auf Basis von jeweiligen durchschnittlichen Industriestandards).

Diskussion

In der anschließenden Diskussion betonten mehrere Referenten noch die Bedeutung des Mitarbeiterwissens und der Hebung der Motivation von MitarbeiterInnen durch Einbindung in neue Prozesse. Zwar sind anfängliche Digitalisierungsansätze erst auf strategischem Level zu diskutierten, doch dann ist es auch notwendig die MitarbeiterInnen im Betrieb mitzunehmen und im jeweiligen Unternehmensbereich Verständnis für die Ansätze und Maßnahmen zu erzeugen. Mit guter Kommunikation kann die Bereitschaft an digitalen Lösungen mitzuarbeiten deutlich gehoben werden.

Take Home Messages
  • Textilbranche ist besonders ressourcenintensiv, aber auch ökonomischen Herausforderungen ausgesetzt
  • Digitalisierung kann als Instrument Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft im Betrieb wesentlich unterstützen, ist aber kein Selbstzweck, sondern Lösung für konkretes Problem
  • Ein Reifegradmodell hilft es Unternehmen Ihren Status Quo zu verorten und auf Basis dessen Maßnahmen zu planen
  • Experimentieren und Fehler zugestehen anstatt immer Perfektion anzustreben ist wichtig bei Digitalisierungsprojekten
  • Ohne Datensammlung keine Analyse von Verschwendung und Umsetzung von Kreislaufwirtschaftsmaßnahmen möglich
  • Transparenz ist wichtig für Vertrauen entlang der Lieferkette und Voraussetzung von Zirkularität

Downloads

Präsentation Pünder
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Präsentation Leodolter
pdf 3,44 MB Download

(24.11.2021)

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